Ahoi!

In der Tat habe ich nun die erste Nacht auf der Matisse hinter mich gebracht. Alles sehr bequem – nicht so gemütlich und familiär, wie auf dem spanischen Seelenverkäufer, aber das liegt daran, dass die Matisse doch um einiges größer und weiträumiger ist. Die Offiziere sind samt und sonders aus Rumänien und die restliche Crew wie üblich von den Philippinen. Zudem habe ich eine nette französische Mitpassagierin, die Flugangst hat und darum mit dem Schiff von Australien nah Frankreich fährt.

Vielleicht schreib ich von Unterwegs dann doch hier und da mal was und schubse es – Tethering sei Dank – ins Blog. Bilder wird’s dann aber weniger geben, das wird zu teuer.

Und jetzt penne ich weiter. Ich glaube, ich werde die erste Woche hier schlafend verbringen und den Schlaff nur durch gelegentliche Essenspausen unterbrechen…

Gute Nacht!

*schnarch*

So – wie vermutet habe ich jetzt fast eine Woche nur geschlafen. Gelegentlich habe ich auch gepennt, geratzt, jepooft oder war im Vollkoma… Unterbrochen wurde das nur durch gelegentliche Essensaufnahme und sehr sporadische Spaziergänge auf dem Hauptdeck. Noch besser ist unser kleines Außendeck: Mit Stuhl, Kaffee und Kindle (nicht Pils!!!) lässt es sich da gut sitzen und entweder auf die eInk-Seite oder ins Unendliche starren.

OK – ich habe mich nicht nur in Morpheus’ Armen gewiegt – dann hätte der jetzt auch ein Problem, mindestens irgendwelche Überlastungserscheinungen in den großen Gelenken. Mittlerweile fresse ich Bücher elektronischer Natur. Ich liebe das kleine Ding (nochmal: Kindle, nicht im Glas) heiß und fettig. Erschreckendes über die netten Management-Methoden bei ALDI, Belustigendes über das Dasein und Wirken einer Hauptschullehrerin, nachdenklich Stimmendes über Deutsche, Türken und wie sie übereinander denken und sich gegenseitig erleben, Erstaunliches über die Grenze, ab der ein Unternehmen nach innen eher eine Irrenanstalt ist, Erleuchtendes dazu, wieso Google eventuell doch evil ist und ich hab noch viel mehr. Heute verspeise ich Google und ab morgen ist dann das Leben von Herrn Jobs dran. Schön, wenn man so einen 800-Seitenschinken mit zwei Fingern halten kann, ohne ein lahmes Ärmchen zu bekommen.

Aber schlafen hat doch einen gewissen Stellenwert. Wenn ich dann auch noch mein orangefarbenes Grellhemd anziehe, dann fühl ich mich doch eher wie Garfield, wobei es hier leider keine Lasagne gibt…

Es ist wirklich erstaunlich, wie weit man seinen Generator runter fahren kann. Jeden Tag noch ein bisschen mehr. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem man sich krank fühlt, was ein Irrtum ist, weil man einfach vergessen hat, wie sich der normale Null-Level anfühlt, den man mittlerweile mit dem Level verwechselt, auf den man gerade noch nach einer Nacht runter kommt. Und der verschiebt sich dabei auch ständig nach oben. So gesehen ist das hier wirklich sehr angenehm – wenn auch ungewohnt und wahrscheinlich – so ist zu befürchten – von geringer Halbwertzeit.

In diesem Sinne gehe ich jetzt – knapp eine Stunde nach dem Frühstück – vielleicht doch noch mal in mein Kämmerchen und stecke den Kopf unter die Decke. Roman (Steward, Philippino, furchtbar nett, immer breit grinsend) hat da wahrscheinlich mittlerweile schon wieder sauber gemacht und hoffentlich nicht wieder dieses Asthma fördernde Raumspray in großzügigen Mengen frei gesetzt.

Vielleicht nage ich vorher noch am bösen Google…

28.000 PS

Mann, ich bin zu alt und zu fett für solchen Scheiß… Vollkommen alle… Hab’ eben 2l Wasser fast ohne abzusetzen in mich rein gegossen…

Warum?

Ich war im Maschinenraum. Raum? Das ist eine Halle… ca. 15m hoch, wenn man die Kühlaggregate und Klimaanlagen mit einberechnet. Der tiefste Punkt liegt derzeit bei ca. 10m unter der Wasseroberfläche. Es herrschen wohlige 35°C und mehr – in Panama werden es dann leicht mal 45°C und noch mehr – die Luftfeuchtigkeit verdient die Bezeichnung Feuchtigkeit eigentlich nicht mehr, weil gefühlt weit jenseits von 99%, und es riecht angenehm nach allen möglichen Ölen, Lösungsmitteln, Schmierfetten und anderem. Der Lärmpegel liegt bei jenseits von gesund, also locker über 130dB und nach kurzer Zeit ohne Ohrenschutz dürfte das Gehör dann hin sein. Ach ja – unter den Ohrenschützern schwitzt man zwar ganz entzückend, dafür sieht man dann aber zum Ausgleich aus wie Mickey Maus…

Alles in allem ein durchaus gemütlicher Ort!

Einzige Möglichkeit sich dort zu bewegen, sind recht steile Treppen und um ehrlich zu sein: Das einzige, was mich aufrecht gehalten hat, waren die Luftauslässe der Belüftungsanlage, unter denen man mal kurzfristig dezent Abkühlung auf ca. 30°C findet.

Der Grund für diese Umweltbedingungen sind die Hauptmaschine mit 7 Zylindern, 28.000 PS maximal und 25.500 PS im Normalbetrieb, die den Propeller (aka Schiffsschraube), der ca. 7,3t wiegt und einen Durchmesser von ca. 7,5m hat, 95 mal pro Minute um die eigene Achse rotieren lässt. Den braucht man, um das Bötchen mit seinen 196m Länge, einem Tiefgang von 11m, einer Breite von 30m, einer Höhe von ca. 52m über Kiel (die Brücke ist auf ca. 40m über Kiel) und einem Gewicht von  bis zu ca. 26.000 BRT auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 20kn (ca. 36km/h) zu beschleunigen und damit bis zu 2262 Blechkisten zu bewegen.

Zusätzlich braucht man noch 4 Hilfsdiesel, die jeweils 1450 kW elektrische Energie bei 440V und 60Hz erzeugen. Die braucht man für die Energieversorgung der Ruderanlage (2 Hydraulikpumpen, die das gewaltige Ruder mit der Grundfläche einer gemütlichen Studentenbude um jeweils 35° in beide Richtungen drehen), 4 Kompressoren, die Luft mit einem Druck von 30kg/cm² zusammen stauchen, mit der dann die Hauptmaschine und die Hilfsdiesel angelassen werden. Jede Menge Pumpen für alle möglichen Wässer (Abwasser, Frischwasser, Seewasser, Kühlwasser, Ballastwasser) und andere Flüssigkeiten (Kühlmittel, Hydrauliköl, Schweröl), weitere Pumpen für Hydraulikanalagen zum lichten der beiden Anker (je ca. 6,5t) und zum Betrieb der diversen Seilwinden. Schlussendlich muss auch das 1.100 PS starke Bugstrahlruder vermittels Elektromotor angetrieben werden, mit dem man den Kahn quasi auf der Stelle drehen kann. Kommen noch drei Lastkräne dazu, mit denen sich das Schiff im Notfall unabhängig von den jeweiligen Hafenanlagen um seine Ladung kümmern kann. Schlussendlich jede Menge eigenständiger Feuerlöschpumpen, die auch noch mit Batteriebetrieb bei Totalausfall eingesetzt werden können.

Dieser ganze Maschinenpark wird von gerade mal 5 Nasen bedient, von denen ich nicht einen einzigen um seinen Job beneide.

Jungs (selten Mädels), die Ihr irgendwo in den Maschinenräumen dieser Welt unter solchen oder krasseren Bedingungen arbeitet – ich ziehe den nicht vorhandenen Hut vor Eurer Leistung!

Ach übrigens – das hier ist ein verhältnismäßig kleines Schiff mit seinen 2262 TEU – sicher erheblich mehr als die gerade mal 1.200 TEU auf meinen geliebten OPDR-Kähnen. Aber wenn man sich mal solche Monstren wie die Emma Maersk anguckt, dann wird die Matisse eher zum Dingi – die Emma nimmt wohl 13.300 TEU. Aber Lindsay (Agent in Napier) sagte, die CMA CGM bastelt gerade an einem neuen Schiffchen mit 14.000 TEU. Das hat ca. 400m Länge und den Rest kann man ja dann interpolieren…

Uff!

Wetta, Wetta, Wetta!

Was ist der Unterschied zwischen gutem und schlechten Wetter in Großbritannien? – Bei gutem Wetter regnet es senkrecht und bei schlechtem Wetter waagerecht…

HAR HAR HAR*

Also gut. Gestern war hier Hamburg. Für nicht Hamburgkundige: In Hamburg kann man an den meisten Tagen ganz vortrefflich die vielen unterschiedlichen Ausprägungen der Farbe grau kennen lernen und begutachten. Und wenn Hamburg der Grundkurs ist, dann war das gestern der für Fortgeschrittene (wenn nicht sogar für komplett Weggetretene, da einem zusätzliches Dauernieseln wirklich den bösen und alle anderen Geister austreibt).

“Fifty shades of grey”, murmelte meine liebe, französische Mitreisende Charlotte Camille (Frau S aus T) nach einem kurzen, prüfenden Blick aus dem Fenster der Offiziersmesse und wir kicherten beide dämlich in unser Abendessen – in bedingungslosem Konsens über die Tatsache, dass miserabel geschriebene Bücher über irgendwelche S/M-Praktiken genauso unnötig sind, wie das bereits erwähnte gräuliche Nieselwetter.

Madame ist gerade mal 27, gelernte Buchhändlerin und neben meinen beiden heiß geliebten Cousinen so ziemlich das Gebildetste und Intelligenteste, was ich in der Altersgruppe seit langem erlebt habe. Ich bin also recht entzückt von dieser ansonsten etwas schrägen und meist unauffindbaren Gesellschaft. Sie ist noch zurück gezogener als ich, aber wenn sie auftaucht, wird’s meistens geistreich bis abgedreht. Und sie kennt die Shadoks! Die gab’s als ich 4 oder 5 war. Hat ihr Vater ihr von erzählt. (Ich fühle mich doch eher alt… Ich werde nämlich andauernd von ihr mit ihrem Vater verglichen – naja, ich nehm’s als Kompliment…) Und Monsieur Hulot sei der Beste. Das Mädchen ist wirklich regelmäßig überraschend.

Grau also.

Und hinter uns tobt ein nettes Tiefdruckgebiet rum, vor dem wir tapfer her schippern. Ich hätte ja nichts dagegen, wenn es uns mal einholen würde, dieses Tiefdruckgebiet. Die kleine schräge Kamillendame (jaja, Klassiker der Weltliteratur – ich denke an die wunderbare Erika Pluhar… Mann Gottes, bin ich wirklich ein alter Sack…) möchte das nicht. Sie ist latent phobisch. Lift? Non! Airplane? Non! Bad Weather? NON!!!

OK – kann man verstehen… Ist nicht jedermanns Sache und stößt auch schnell an die Grenzen des Amüsanten – ich hatte einmal 48 Stunden ohne Schlaf wegen der Rollerei und Stampferei. Da hat die gute Laune dann bald ein Ende… Zumal das dann an mir auf Grund gewisser Masseverhältnisse mit erheblicher Kraft rupft und zupft.

Heute war dann allerdings ein Wetterchen, was seines Gleichen suchte. Alles blau! Himmel, Wasser, Mannschaft… (Cherz!). Da saß ich dann auf meinem Lieblingsplatz auf unserem kleinen “Balkon” auf dem E-Deck, habe alle Viere von mir gestreckt, die Sonne und den salzig seidigen Wind sowie einen fragwürdigen verlängerten Espresso genossen und weiter mein Hirn entrümpelt!

Wunderbar!!!


*) Ich befürchte, dass Jilly mich irgendwann killt, wenn ich weiter despektierlich verbal auf dem Empire rum trampele…

Blau!

Man sitzt da am Bug, guckt in eine unglaubliche Weite (die Erde ist doch eine Scheibe, man kann es ganz klar sehen!!!) und alles ist blau. Sehr blau! Unglaublich blau! Unanständig blau! Neulich war ja der Tag, an dem man die Farbe grau studieren konnte – heute ist der Tag für blau. Umwerfend! Was ist eigentlich die Mehrzahl von blau? Die diversen Blaus? Wie jetzt?

Und was ist darunter? Also unter dem Blau? Gut, Blauwale –  klar, wie der Name sagt, höhö – und andere. Gestern Abend beim Barbecue – sehr schnuckelig: Wir saßen quasi in einer schwimmenden Disko mit BBQ, Karaoke (Philippinos können nicht ohne Karaoke existieren – das ist ein Naturgesetz, zumindest auf See…) und einem fantastischen Sonnenuntergang – bliesen in der Ferne ein paar Wale lustige Wölkchen in die Luft.

Mann!

Ich denke darüber nach, dass dieser Pazifik mit all seinem schönen Blau quasi die Hälfte unseres Planetchens bedeckt. Seit fast zwei Wochen gurken wir hier schon rum und es nimmt gar kein Ende. Und dann geht es auch noch ein paar Kilometer in die Tiefe. Der allgemeine Wissensstand ist ja wohl der, dass wir mehr über den Mond wissen, als über die Ozeane und insbesondere die Tiefsee. Da unten gibt’s ziemlich lustige Gesellen… Am liebsten mag ich diesen Laternenfisch. Oder bunt leuchtende Quallen und Kalmare. Und keiner weiß wirklich was da noch alles rumwuselt. Und wir gurken mit unserer Nussschale oben drauf rum. Ein Staubkörnchen in diesem Universum. Nicht mal. Und ab und zu taucht einer der hiesigen Bewohner kurz auf, grüßt freundlich und verschwindet wieder.

Zum Bleistift: Fliegende Fische!!! Unglaublich! Wie hübsch! Rot, schwarz, weiß – unten blau. Charlotte sagt, sie sähen aus, wie fliegende Sardinen. Ich frage mich, wo sie die Dosen gelassen haben… Wir stellen fest, dass sie wunderbar fliegen können. Sie sehen aus wie diese ersten Gleitflieger von Lilienthal & Co. Start aus dem Wasser ist sehr elegant. Die Landetechnik allerdings… Schwanzflosse zum anbremsen ins Wasser, dann Bruchlandung und kontrollierter Absuff. Vorher fräsen sie mit der Schwanzflosse noch eine Zickzacklinie in die Wasseroberfläche.  Schwer zu fotografieren, die fliegenden Gräten. Ich muss denen bei Gelegenheit noch mal mit der dicken 400mm-Linse auf die Schuppen rücken.

Später dann ein Ruf auf der Brücke: “Dolphins!!!” Jo… eine riesige Gruppe. Steuerbord und backbord ca. 30 – 40 von den Jungs und Mädels. Synchronschwimmen scheint gerade hip zu sein bei Delfinen. 20 nebeneinander tauchen auf und wieder ab und wieder auf und wieder ab. Ich würde gerne mal wissen, ob die gerade Spaß haben oder einfach nur von uns genervt sind. Einige schwimmen mit uns. Heftig, wir gehen 18 Knoten – das sind mal reichlich 32 km/h und die schwimmen fröhlich mit und hopsen über den Wulstbug und machen allen möglichen Blödsinn. Ich glaube eher, die finden uns spannend und sind uns freundlich gesonnen.

Weiter hinten noch mal ein großer Blas von Herrn oder Frau Wal. Hach, ist das schööööööön!

Nachts…

0203 hrs

Ich habe mir irgendwie den ganzen Abend alles mögliche Klangliche aufs Ohr getan: Slickaphonics, Isaac Hayes, Candy Dulfer, Marvin Gaye (Mrs. Jones, hach!), Johnny Guitar Watson – lang leben die 70er, Be-Funk und der ganze Motown-Kram! und bin dann wie so oft bei Maceo Parker gelandet. Happy Music und dazu sanftes Schiffsgeschaukel!

Dann war ich wach. Und damit ich nicht runter in die Kombüse renne und irgendein Überbleibsel vom gestrigen BBQ erlege, um dann doch irgendwann im Niedergang (Treppenhaus) stecken zu bleiben, bin ich raus aufs E-Deck und dann weiter auf die Brücke zwei Decks höher.

Es weht ein angenehmer Wind, der mehr wie eine freundlich warme und sanfte Streicheleinheit von Mama Natur daher kommt. Wir sind relativ dicht unterm Äquator – 10.26° Süd – und morgen Abend oder so gehen wir drüber. Charlotte und ich haben vorsorglich klar gemacht, dass das nicht unsere erste Äquatorüberquerung ist – in beiden Fällen eine kleine Notlüge, aber bitte keine Äquatortaufe…

Es ist unglaublich da oben – also auf der Brücke. Dieser Sternenhimmel. Ich glaube, das habe ich das letzte Mal als kleiner Knopf (ich war mal klein und dünn, ja…) in Dänemark gesehen. Blöde Lichtverschmutzung überall. So derart viele Sterne lehren einen ein wenig Demut. Sirius, Beteigeuze, Rigel, andere Sterne, Sternhaufen, die Milchstraße, andere Galaxien, Galaxienhaufen, Nebel. Ein Blick in die Vergangenheit – teilweise in die weit entfernte Vergangenheit. Einiges von dem, was da leuchtet gibt’s vielleicht schon gar nicht mehr. Dazu jede Menge Sternschnuppen.

Also kräftig Dinge wünschen. Wenn das alles klappt, ist mein Arbeitgeber finanziell ruiniert und ich verbringe den Rest meines Lebens entspannt auf See… Hurra!!!

Rein ins Brückenhaus. “Gutt monning, Sah!” – Second Mate (2. Offizier) geht Wache mit Joey (philippinischer Matrose,  absoluter Sonnyboy). Luxus! Sollten sie nachts ja überall machen mit einem, der den Wachhabenden bei der Stange hält. Die hier können sich das leisten mit 22 Mann. Aber das ist auch nicht mehr der Normalfall. Auch nicht, dass sie einen 3. Offizier haben und der Master (Kapitän) nicht Wache gehen muss.

Auf den kleineren Schiffen haben sie meistens nur noch zwei Offiziere. Also muss der Master mit auf Wache und dazu den ganzen Papierkram machen, bei Manövern (anlegen, ablegen, Lotse an Bord) auf der Brücke sein, etc… Schlimm in Nordeuropa, wo die ganzen Häfen dicht aneinander liegen. Bedeutet z.B.: Felixstowe (UK), Rotterdam, Hamburg, Rotterdam, Felixstowe in einer Woche ohne Pause. Also kaum bis kein Schlaf – weder für die Offiziere, noch für die Mannschaft. Wenn dann auf der Nordsee oder im Kanal noch schweres Wetter ist, dann sind die am Ende so einer Woche vollkommen abgebügelt. Nix Seefahrerromantik. Eiserne Regel: “Wann immer Du schlafen kannst, schlafe! Unbedingt!”

Oder doch noch ein Rest Romantik? Bei so einer langen Reise ohne Hafen wie jetzt vielleicht ein bisschen. Da kehrt Ruhe ein. Da ist Zeit für Entspanntes. Nachdem ich mal dezent nachgefragt habe, hat mir der Chief Mate (1. Offizier) vorhin einen Sextanten in die Hand gedrückt und erklärt und ich habe meine erste Messung gemacht. 4° daneben. Mist! Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass mir das Ding über die Reling segelt. Teuer, sowas…

Das war irgendwie wie Weihnachten… Man mag das für beklopft halten, aber ich war glücklich wie ein Schnitzel. Ich wollte das schon immer mal machen. Ich finde Navigation höchst spannend. Und also hab ich da mit dem Ding alles Mögliche angepeilt – mir wird langsam klar, wo der Ausdruck “verpeilt” herkommt. Links Horizont – rechts Venus (man guckt durch eine Art Prisma oder Doppelspiegel), dann Venus zum Horizont runter schieben. Feststellen. Rein ins Brückenhaus. Winkel ablesen (tja – 48,3° sagt der Rechner, 44kommairgendwas habe ich gemessen). Und dann Tabellen, Tabellen, Tabellen, Abweichungen, Korrekturwerte für Höhe des eigenen Standortes, Korrekturwerte für die Optik selber, blablabla… Mit einem Wort: Die Messung an sich ist noch das Leichteste. Ohne diese Logarithmentabellen und den ganzen anderen Kram würde die gesamte Positionsbestimmung ewig dauern.

Früher hatten sie nicht mal genau Uhren. Da war insbesondere die Bestimmung des Längengrades eine ziemliche Lotterie.  Mit der Einführung der ersten Präzisionsuhren (irgendwo habe ich mal einen Nachbau der H4 gesehen – was für ein unglaubliches Kunstwerk!) konnte man das dann sehr sicher durchführen. Heute gibt’s GPS und die Rechnerei entfällt. Hätte eh keiner mehr Zeit für (s.o.). Aber die alte Methode muss trotzdem beherrscht werden und wird den Offizieren immer noch beigebogen. Die Wikinger hatten nur die Sterne. Keine Optik, keine ausreichende Mathematik, nix. Nur die Sterne und viel Mut zur Lücke…

Also – 4° daneben. Epic Fail!!! Das üben wir noch, dachte ich so vor mich hin. Und der Chief Mate – als könne er Gedanken lesen – grinst und sagt doch wirklich: “Du weißt ja nun, wo das Ding liegt und wo die Tabellen stehen”. Ich könne jederzeit gerne üben. Er würde mir auch bei Gelegenheit zeigen, wie man das mit der Sonne macht und mit dem Mond, wenn der mal wieder sichtbar wird. Ansonsten soll ich einfach probieren.

Mann – der hat ja ein sonniges Gemüt. Einen Scheiß tu ich und geh an diese Optik alleine dran. Ich kenne mich – vor lauter Aufregung versenke ich das Ding im Pazifik. Aber ich habe mir eben überlegt, dass ich zu Hause dringend mal gucken muss, ob ich in der elektrischen Bucht so ein Teil gebraucht abschießen kann. Muss ja nicht mehr 100%ig eingestellt sein und funktionieren, aber die Dinger sehen irgendwie sexy aus – sind ja auch Sextanten… Oh, Mann – kein weiterer Kommentar, der war ja erzflach… Auf jeden Fall sehr dekorativ, so eine Optik!

*seufz*

Das sind wirklich genau die Augenblicke, derentwegen ich solche Reisen mache. Es ist ein unglaubliches Gefühl von Leichtigkeit und auch einer gewissen Freiheit bzw. Unbeschränktheit, wenn man nachts einfach aufsteht und mal eben auf die Brücke schlurft – in vorbildlich lumpiger Kleidung, da oben laufen sie eh alle rum, wie die Schluffis – wen sollte es auch stören? Ein kurzes freundliches Gespräch, ein Blick aufs Radar, ein Blick aufs GPS, neuen Wetterbericht lesen, einen Keks und “Gute Nacht” und wieder inne Koje…

“Have a good watch, 2nd!” – “Sleep well, Sir!”

Ach übrigens – ich hab das Bullauge offen, Decke bis zum Kinn, kriege die Brise von Steuerbord voraus um die Ohren und sehe die Sterne. Was will ich mehr?

0258 hrs

In 4 Stunden gibt’s Frühstück. Gute Nacht!

Die ordentlichen Deutschen

Charlotte hat einen deutschen Onkel und damit auch etliche halb deutsche Cousins. Sie sagt, es wäre ein Alptraum gewesen, mit denen mit Lego zu spielen. Alle Steine wären immer penibel sortiert gewesen. Und zwar so, dass es jede Menge kleiner Sortierkästen gab, in denen jeweils höchstens 5 Steine gleichzeitig anzutreffen gewesen wären. Hätte man ein Lego-Haus gebaut, so hätten alle Steine die gleiche Farbe haben müssen, weil das ja sonst gar nicht gegangen wäre. Und wenn ein Lego-Auto keine Rückleuchten gehabt hätte, dann hätte es in der Lego-Garage bleiben müssen, weil es so nicht fahren dürfe.

Was für eine schreckliche Kindheit und der Erbfeind hat es mal wieder zu verantworten! Ob sich das nach dem partiellen Abtritt von Merkozy noch regeln lässt?

Ich frage mich übrigens gerade, ob ich evtl. eine Marktlücke entdeckt habe. Mir kam eben angesichts dieser Geschichte die Idee, dass man Plüschbaguettes herstellen müsste, damit kleine Französinnen nachts was Adäquates zum Kuscheln haben… Ich meine, für den professionellen Hypochonder gibt es ja diese entzückenden Bazillen und Viren zum Liebhaben und für den überzeugten Vegetarier Teppiche in Form und Aussehen großer Wurstscheiben. Warum also nicht auch Kuschelbaguettes??? Oder schnuckelige Samtteebeutelchen für kleine Engländerinnen? Rustikale Frottee-Goudas, die Heintje-Lieder trällern, wenn man ihnen in den Bauch piekt, für kleine Niederländerinnen? Modische Barbie-Pizzen, denen man unterschiedliche Beläge anziehen kann, für kleine Italienerinnen?

Ich werde mal drüber nachdenken… Wer noch Ideen hat – da unten ist das Kommentarfeld! Gute Nacht!

Vor Anker

Mal ganz ehrlich – wer braucht die Tropen? Ich nicht! Ich komme mir vor wie in so einem schlechten Film über irgendeine lateinamerikanische Bananenrepublik, in der ein dicker, britischer Gouverneur sich den Verstand raus schwitzt, vollkommen erloschen unter einem müde quirlenden Ventilator liegt, durch brüchige Holzjalousien von der gleißenden Sonne notdürftig geschützt und sich und sein Leben und seinen Job hasst und den letzten Rest nicht verschwitzten Verstandes mit Rum hinrichtet.

Echt mal – diese fiebrig feuchte Hitze liegt auf einem, wie eine Bleidecke. Die Klimaanlage auf dem Kahn hat schon längst aufgegeben, scheint’s. Fünf Decks weiter unten dreht der Kompressor auf Hochtouren, aber hier oben fällt nur ein laues Lüftchen aus der Ventilationsöffnung über mir. Lediglich die Philippinos fühlen sich wie zu Hause und hopsen breit grinsend an Bord rum. Erster Gedanke: Raus gehen! Ja, toll. Da haut es einen dann erst recht aus dem dampfenden Turnschuh.

Es ist 00:40 Ortszeit und wir liegen vor Anker. Warten darauf, dass der nächste Konvoi reingerufen wird. Letzter Stand der Dinge ist, dass wir ca. um 02:00 die erste von drei Eingangsschleusen erreichen werden. Um uns lauter andere Schiffe mit Festtagsbeleuchtung. Das sieht allerdings sehr hübsch aus. Stativ raus und ablichten!

Für die Mannschaft und die Offiziere wird das heftig. Die Durchfahrt dauert 15 Stunden, dann noch nach Manzanillo und dort gleich Ladung löschen und neue Ladung nehmen. Damit haben die so ca. eine 24-Stundenschicht – mindestens. Und im Maschinenraum sind mittlerweile unerfreuliche 45°C, wie mir der zweite Ingenieur beim essen augenrollend und müden Blickes sagte. Nein – nix Seefahrerromantik. Gar nicht!

Ich halte es hier drinnen nicht mehr aus. Ich geh doch noch mal raus. Draußen geht nun doch ein leichtes Lüftchen. Schlafen kann man eh nicht, weil die Ventilatoren dröhnen wie Geist – müssen sie, sonst wird es da unten noch heißer…

Herr Kästner, das stimmt so nicht!

Hoch geschätzter und verehrter Erich Kästner!

Ich hatte Ihnen geglaubt! In Ihrem wundervollen Buch “Der 35. Mai” schreiben Sie, dass Sie mit Negro Kaballero, dem Rollschuh fahrenden Pferd, über den Äquator gerollt seien. Dieser sei ein langes Metallband, welches regelmäßig von Frau Lehmann in Kittelschürze hingebungsvoll gescheuert wird, damit er nicht rostet.

Heute um 13:37 UTC (08:37 Schiffszeit) sind wir über den Äquator gefahren.

GPSLAT0

Und da war weder von einem Metallband noch gar von einer Frau Lehmann irgendetwas zu sehen. Ich muss zugeben, dass ich doch ein wenig enttäuscht bin!

Ergebenst, Ihr

Herr R

Miraflores

Was ein Anblick! Was ein Ausblick! Man verliert den Überblick…

Ich habe doch noch ein paar Nachtaufnahmen gemacht. Ähm.. Also, 1083 – davon sind 106 übrig geblieben und 44 in der engeren Auswahl fürs Blog gelandet. Bilderschlacht, Regenschlacht, Hitzeschlacht… Ich bin erschlagen und habe wieder dieses britische Gouverneur-Feeling…

Da fährt man in Balboa – grandiose Skyline – auf die erste Schleuse zu. Miraflores. Das sieht aus wie eine Startbahn auf dem Flughafen. Grüne und rote Lichter in einer schnurgeraden Linie. Sehr beeindruckend. Am Ende der Einfahrt dann die Amerikabrücke und links davon die Baustelle für die neuen Schleusen. Vollkommen gigantisch – so etwas habe ich noch nie gesehen. Und nachts sieht es natürlich noch beeindruckender aus, denn alles wird von unzähligen Flutlichtern taghell ausgeleuchtet. Gegen diese Baustelle ist das Loch damals am Potsdamer Platz eine ziemliche Lachnummer.

Langsam – es ist mittlerweile 02:30 – schleicht man sich an die Schleuseneinfahrt ran – von hinten stabilisiert ein kleines Kraftpaket von Schlepper den Kurs, von der Seite tut selbiges ein weiterer Schlepper. Der Lotse kommt im Schnellboot. Der Zoll und die Polizei kreisen um uns herum. Ein weiteres Schnellboot kommt und spuckt haufenweise kräftige kleine Herren aus – die Kanal-Crew, 19 Mann stark, klettert an der Strickleiter an Bord.

Diese bringen uns unter der Leitung des Lotsen durch die Schleusen. Dies geschieht nicht mit eigener Kraft, sondern wir werden von einer Unzahl kleiner wuseliger Lokomotiven gezogen. Die Kanal-Crew ist zuständig für die ganzen Seile und Kabel, mit denen wir gezogen werden. Vorne ziehen zwei auf beiden Seiten und mittschiffs und achteraus stabilisieren uns weitere Lokomotiven, damit wir nicht gegen die Schleusenwände schrammen. Steuerbord und Backbord vielleicht je 5m Platz, was angesichts unserer Größe und Masse nicht wirklich viel ist.

Ich würde gerne mal auf’s Hauptdeck gehen und mir das ganze von Nahem ansehen. Geht nicht. Alles verrammelt. Zu gefährlich. Wenn so ein Kabel reißt, ist die Rübe ab.

Schnell ein Sandwich in der Messe – es ist bereits 4:00 morgens und ich bin total durch und verdreckt, weil ich überall hingehüpft und rumgekrochen bin. Dazu der Regen. Man soll nicht glauben, dass der irgend eine Abkühlung bringt. Auch der Wind nicht. Man kann sich auch einen Fön ins Gesicht halten – der trocknet wenigstens, was man von der feuchten Luft hier nicht wirklich erwarten kann.

Miraflores besteht aus zwei mal drei Becken und kann gleichzeitig vier Schiffe verarzten. 1913 wurde das gebaut – so steht es am Schleusenhaus. Vor uns wird die Adriatic Pearl ins übernächste Becken gezogen und gemeinsam fahren wir hoch. Gleichzeitig wird hinter uns in die Parallelschleuse ein irrer Eimer von Hapag Lloyd in die Schleuse gezogen.

Das ist eine unglaubliche Präzisionsarbeit und viel abgestimmte und klare Kommunikation zwischen Lotse und Lokführern. Unser Kapitän steht daneben und macht einen guten Eindruck – mit frischem Vierstreifenhemd zur Feier des Tages. Viel mehr hat er im Moment nicht zu melden – sicher nicht leicht für ihn, aber hier regiert der Lotse mit seiner Crew. Joey steuert per Hand. Der Lotse gibt Kursanweisungen, Joey bestätigt – so ernsthaft und formal haben wir ihn noch nie erlebt. Das Steuer ist übrigens gerade mal so groß, wie so ein Bobbycar-Lenkrad. Ich denke an die gewaltige Ruderhydraulik hinter der Hauptmaschine und bin wie so oft beeindruckt.

Um 05:40 gebe ich auf. Charlotte bleibt noch – aber die ist ja auch erst 27. Ich kann nicht mehr geradeaus gucken und schlurfe in meine Kemenate – der Kanal muss erst mal ohne mich statt finden. Nachdem ich nach ca. 30 Minuten halbwegs abgekühlt bin, entgleite ich der bewussten Wahrnehmung meiner drückend warmen Umgebung.

Um 09:30 kurzer Blick aus dem Fenster – rechts grün, links grün, in der Mitte Wasser, schnurgerade – aha, Kanal. Und wieder zurück ins Koma.

Um 12:00 duschen – hilft absolut gar nichts. Mittagessen. Rauf auf die Brücke, raus auf die Nock. Paff! 33°C und mindestens 400% Luftfeuchtigkeit hauen mich zurück ins Brückenhaus. Gewitterwolken. Zwei Minuten da draußen und man steht komplett unter Wasser. Ansonsten: Nichts.

Warten… Im Gatun-See. Der ist bildschön. Überall Regenwald, Palmen, Inselchen und alles voller dicker Pötte. Die warten alle darauf, dass Die Konvois aus dem Norden durch kommen. Danach fahren wir dann in die Schleusen von Gatun nach Norden zum Atlantik.

Angeblich um 14:30 – mal sehen!

Gatun

16:20 – auf einmal Invasion auf der Brücke. Lauter kleine freundliche Panamaer breiten sich schlagartig aus. Offenbar geht’s weiter.

Mittlerweile hab ich’s mir in der hintersten Ecke der Brücke gemütlich gemacht. Mal Charlotte fragen, ob se ein Bild macht. Macht Sie – danke! Der Platz ist strategisch gut, denn über mir befindet sich ein Lüftungsauslass. Herrlich kühl!

Unmerklich geht es auf einmal los. Ein kleiner Schlepper schubst unseren Bug rum und wir nehmen Kurs auf die Schleuse am Ende des Gatun-Sees.

Draußen regnet es fröhlich weiter. Ich geh mal das eine oder andere Bild machen… Ich hab erst so wenig…

18:02 – diese Schleuserei ist schon eine gemächliche Sache. Mittlerweile dauert der Vorgang nun eine gute Stunde. Die Schleuse Gatun hat wie Miraflores drei Kammern. Und die Lokomotiven sind doch eher nur zur Stabilisierung da – den Schub bringt die Hauptmaschine, aber sehr vorsichtig.

Langsam wird es dunkel und wir erleben einen wunderschönen Schleusenuntergang. Mit etwas Glück habe ich das ganze auf Video und kann daraus einen Zeitraffer basteln. Anders sieht man die Bewegung eh nicht, denn wie schon geschrieben, geht hier alles sehr langsam.

Ich auch – ich gehe mal langsam zu Abend essen und ich glaube, dann falle ich endgültig in meine Koje. Zumindest für ein paar Stunden bis Manzanillo – mit etwas Glück bringt der Agent dann ein WiFi-Modem und ich kann endlich mal die ganzen Sachen ins Netz der Netze schubsen.

Der Lotse verpackt sich auch gerade und gleich geht auch die Kanal-Crew von Bord. Habt Ihr gut gemacht, Jungs!


Leider kein Internetzugang – das hätte man vorher bestellen müssen, was ich natürlich nicht wissen konnte. Der Agent war übrigens eine Agentin – äußerst dunkelbraun mit Schokolinsenkulleraugen, Infernolocken und Sommersprossen. ICH BLEIBE IN PANAMA!!!

El Maximo Lider

Soeben haben wir des angeblich noch recht fidelen Diktators Vorgarten durchpflügt – gerade gestern stand in der Satellitenzeitung, sein Bruder hätte zum x-ten Mal bestätigt, dass sich das zottelbärtige Revolutionsfossil bester Gesundheit erfreut – und es wird immer tropischer. Sollte das nicht abnehmen, je weiter wir nach Norden schaukeln?

Kuba an steuerbord achteraus, Puerto Rico an backbord querab, Jamaica und DomRep (!) auch nicht weit – klingt wie Urlaub, aber wer macht denn in dieser schwülen Brutstätte unerfreulicher, viraler und bakterieller Infekte wirklich gerne Urlaub? Leute, die dann den ganzen Tag in vollklimatisierten Räumen all inclusive Nahrung in veritablen Mengen in sich rein schaufeln und sich an gechlorten und künstlich gekühlten Pools aalen oder sich von hyperaktiven, dauergutgelaunten Berufs-Hysterikern zu merkwürdigem Verhalten animieren lassen, während um die Ecke der tägliche Existenzkampf von statten geht? Etwas bizarr…

Und bei Castros überm Dach tobt eine nette Gewitterfront. Von der Brücke aus betrachtet sieht das sehr spektakulär aus. Also raus auf die Nock in der Hoffnung einer irgendwie gearteten Abkühlung – wenigstens relativ.

Jaja, relativ!

Das war relativ gar nix – es geht zwar ein relativ starker Wind, aber der ist relativ unappetitlich feuchtwarm. Heiß ersehnte fröstelnde Zustände wollen sich nicht so recht einstellen. Dafür blitzt und rumpelt es relativ nett. Dazu ein gepflegtes, leicht bewölktes, relativ fahles Mondlicht.

Aber warm. Ekelhaft warm! Der Kahn ist mittlerweile so aufgewärmt, dass hier oben unter der Dusche kein wirklich kaltes Wasser mehr ankommt – Deck E ist zu weit oben und die Rohre sind nicht isoliert. Man erklärt mir, dass die Matisse in China gebaut wurde. Da zählt mehr Funktionalität als Komfort für die Bewohner. Wer Komfort will, muss mit Hapag-Lloyd fahren, solange es die noch gibt… Ich habe jetzt immer einen Eimer mit Wasser im Bad – wenn das auf Raumtemperatur runter gekühlt ist, dann kann man es sich wenigstens über den Kopf gießen und hat mal wenigstens ein paar Minuten die Illusion von Erfrischung. Vielleicht ist das ja auch ein praktikabler Tipp für Reisende der Deutschen Bahn…*

Erwähnte ich eigentlich schon, dass es unanständig schawül ist? Seit vier Tagen geht das nun schon so. Das ist definitiv der etwas unangenehme Teil der ganzen Reise, aber auch der wird vergehen und dann muss ich schon wieder runter vom Kutter und werde sehr traurig sein. Der einzige Teil von mir, dem das Klima hier wohl gefällt, ist meine verbumfeite Haut (“Was macht meine Haut?”**) – die heilt nämlich ab (“Gut, dem Dinge!”**). Also doch noch ein Grund für einen Ortswechsel? Ich grabsch’ mir ne sommersprossige Tropenmaus und besetze eine ausgediente Ölbohrplattform im Golf von Mexico. BP hat da sicher was im Angebot…

Aber was nutzen mir karibische Sommersprossen und eine leidlich befriedete Haut, wenn mich binnen kurzer Zeit dann klimabedingtes Multiorganversagen dahin rafft???

Und was hat das alles mit Fidel zu tun?

Mirswaaaaam!!!


*) Ach ja – wer nun triumphal ausruft, dass das ja klar gewesen wäre, wer führe schon mit einem Containerschiff, das könne ja nichts Vernünftiges sein – ich liebe diese Dreckseimer trotzdem inniglich und würde sie jeder AIDA Sonstwie oder ähnlichen Musikdampfern jederzeit vorziehen. Einzige Ausnahme sind die Schiffe der Hurtigroute und die QM2 – letztere ist allerdings leider für normalsterbliche Angestellte des ÖD relativ unerschwinglich.

**) Für den humorvollen Kenner wohl in Teilen geklauter aber sehr amüsanter, pseudoautobiografischer Literatur

Ausflug der schrägen Art

Hurra! We are free to enter the United States. Meine Herren, waren das ein paar Gestalten. Bewaffnet bis an die Zähne und der Chefkontrolleur so voller Tattoos, dass er eher wie einer von den bad guys aussah. Ob wir mehr als $10.000 dabei hätten. Ob wir vor dieser Reise auf einer Farm gearbeitet hätten. Wo wir her kämen und was wir da gemacht hätten. Ob das Spaß gemacht hätte. Aus Deutschland? Nach Boston? Von Neuseeland? Über Australien? Wieso? Urlaub? Aha! *stempel* *stempel* Have fun!

Charlotte sagt, der wäre furchteinflößend gewesen. Ich hatte mir das schlimmer vorgestellt. Wenn ich an die Typen am JFK und in Atlanta erinnere, dann war der doch recht harmlos. Offensichtlich reist man auf diesem Wege stressfreier ein. Man steht nicht in endlosen Warteschlangen, sondern wird vom dritten Offizier freundlich zur Gesichtskontrolle eskortiert. Fein – dafür hat mich das beklopfte Visum ja auch 150€ gekostet. Hoffentlich kommt da morgen in Philadelphia nicht noch das dicke Ende.

Charlotte war noch nie in den USA. Charlotte will zu MacDonalds. Sie will nichts davon wissen, dass Wendy’s eigentlich viel besser ist. Wir telefonieren rum. Totales Chaos. Ich rufe in der Seemannsmission an, ob uns jemand abholen kann, denn wir dürfen nicht zu Fuß in den Hafen – hier ist eh alles viel zu groß. Würde man gerne, aber man wisse nicht, wo der Fahrer sei. Aber wenn der auftauche, würde man ihn aus Schiff schicken. Ich renne runter zum Zweiten und sage ihm, man möge uns bitte Bescheid sagen, wenn der Fahrer auftaucht. Charlotte rollt mit den Augen und geht ihr mittlerweile kaltes Abendbrot essen. Der Bosun ruft dazwischen, dass der Seemannsmissionsmensch die ganze Zeit schon in der Mannschaftsmesse säße. Was ein Wirrsinn… Ich gehe in die Mannschaftsmesse. Da sitzt der Kaplan der Seemannsmission – ein freundlicher Philippino – und mampft Mungobohnensuppe. Wie der zweite Ingenieur sagte die absolute Leibspeise der Philippinos. Leider mit ätzenden Auswirkungen. Da ist irgendwas drin in den Bohnen, was gelegentlich gichtartige Zustände erzeugt. Der Koch hatte neulich einen erstaunlich dicken Fuß. Charlotte hat erzählt, dem Zweiten wär nichts besseres eingefallen, als ihm Brandsalbe drauf zu schmieren, worauf der Kapitän etwas genervt war und der Erste mit ihm in Tauranga zum Arzt gehen musste. Wir sind uns einig, dass wir hier an Bord lieber nicht krank werden wollen.

Der Kaplan verkauft mir eine SIM-Karte von T-Mobile (!!!) – $25 für 5 Tage *seufz* Besser als Roaming und bevor ich gar nix kriege – ich muss mir morgen irgendwie einen Mietwagen organisieren – hoffentlich fahren wir nicht so weit raus, dass ich keinen Empfang mehr habe… Außerdem sind alle Gespräche in den USA für lau und ich hab ein Guthaben von $15 für den Rest. Das hilft mir erst mal bis NYC – da brauch ich dann eh kein Telefon mehr. Aber bitte – eine T-Mobile-SIM in einem Vodafone-Handy von Samsung in den USA!!! Zustände sind das…

Die Suppe ist aufgegessen, die Notebooks (Charlottes und meins) sind im Rucksack und wir fallen die Gangway runter ins kaplan’sche Auto. Einsteigen, Motor an *KLACK* Hatte ich ganz vergessen. Die Autos verschließen sich automatisch, wenn man losfährt. Der lieben Sicherheit wegen, damit man an der Ampel nicht auf einmal ungebetene Gäste mit unangemessenen Geldforderungen im Auto hat. The land of the free and the paranoid…

In der Seemannsmission angekommen klinken wir uns geifernd ins Internet ein, während Hochwürden noch mal losrumpelt und weitere Leute von der Matisse holt. Wir lesen und schreiben Mails – meine Optikerin hat mir geschrieben. Die mit der tollen Sonnenbrille von der Danke-Seite. Und mein Nachbar. Meine Wohnung blüht, der Hausmeister hat endlich mal das Treppenhaus gesaugt und mein Fensterblatt bricht unter sich zusammen. Das musste ja mal kommen – dieser Strunk war mir ob seiner Lebens- und Expansionsfreude eh schon seit einiger Zeit etwas suspekt.

Schnell noch die ganzen Artikel und das Delfin-Video – sorry für die miese Qualität, aber das musste so schnell gehen, weil die Viecher einfach keine Geduld mit mir und meiner ALDI-Biligkamera hatten – hochgeschubst und der Geistliche kommt bereits wieder. Im Auto hat er die absolute Chaotentruppe. Den Koch und den Steward, die beiden Oberscherzkekse, einen der Jungs aus dem Maschinenraum und einen indischen Decksmatrosen. Alle zusammen zu Walmart – da ist auch ein MacDoof und ein ATM-Geldautomat.

Ich stürze mich auf den Geldautomaten. Der Koch und der Steward auf die Flachbildfernseher. Der Mechaniker und Charlotte in die Süßwarenabteilung. Charlotte erklärt, sie hätte sich zum Ziel gesetzt, alle Sorten M&Ms, die es auf der Welt gibt, auszuprobieren. Im Übrigen sammelt sie Süßigkeiten und hält sich selbst für leicht gestört. Ich finde sie eher liebenswert mit ihren ganzen Macken. Im Übrigen ist der Mechaniker auch nicht besser. Der Typ kauft eine ganze Einkaufswagenladung von Süßigkeiten. Die würden so ca. zwei Wochen reichen, die Arbeit im Maschinenraum sei immerhin schwer.

Charlotte steht in den ganzen Süßigkeiten, macht Kulleraugen und sieht so aus., als ob sie gleich anfängt zu hyperventilieren. Offenbar ein leichter Kulturschock. So ungefähr hat meine Cousine aus Magdeburg auch geguckt, als sie nach Mauerfall das erste Mal im KaDeWe stand.

Der ATM-Kasten will meine Maestro-Karte nicht, obwohl auf ihm nebst anderen ein riesiger Maestro-Aufkleber pappt. Die VISA-Karte geht und ich bin $100 reicher. Juhu! Ich kaufe auch was – eine handliche 3-Liter-Flasche Coke Zero und eine Tüte Himbeer-M&Ms. Mit Verlaub: Die schmecken absolut schön scheußlich plastikmäßig – morgen früh ist mir sicher latent blümerant.

Der Inder steht vor einem Sonderangebot mit Wein und fragt mich, ob das Wein sei. Ja, es sei Wein, aber sicher recht furchtbarer. Ein Rosé für $2,65. Flasche mit Schraubverschluss. Ich rate ab, der Inder kauft. OK – etwas verunglückte Kommunikation.

Charlotte und ich fallen offenbar irgendwie auf. Liegt das daran, dass wir mit Bargeld bezahlen oder am Akzent? Wenn Charlotte “Snickers” sagen will, sagt sie “Sneakers” – total süß. Die Kassiererin – eben noch total gelangweilt – grinst auf einmal freundlich. Where are *you* guys from? Kurze nette Unterhaltung. Ich mag ich die USA doch. Genau so geht es dann bei MacDoof weiter. Sobald die merken, dass man von sonstwo ist, werden sie total nett und hilfsbereit. Das ist eine wirklich nette Eigenart unserer amerikanischen Freunde.

Charlotte steht an diesem All-You-can-drink-Teil und probiert in Seelenruhe und mit Hingabe alle Geschmackssorten aus. Ich hätte so gerne ein Foto von ihren Grimassen gemacht. Sie tröpfelt kleine Mengen in den Becher, fotografiert den Inhalt mit Ihrer Digicam, probiert, guckt schräg und macht mit dem nächsten Zapfhahn weiter. Das Mädel ist echt cool. Sie sagt, das wäre ihr erster und letzter Aufenthalt in den USA, da müsse sie eben alles ausprobieren, was sich anbietet.

So langsam kommen alle zurück mit Süßigkeiten, Flachbildfernsehern, potenziell grauenhaftem Wein und anderen Dingen und fröhlich eiern wir zurück zum Schiff. Der Koch fragt den Inder andauernd, ob er denn nun eine SIM-Karte bekommen hätte und ob er damit schon telefoniert hätte. Oder ob er doch lieber eine vom Kaplan kaufen will. Wie das denn nun sei. Ob es in Indien überhaupt Telefone gäbe. Der Inder sagt “You talk much, I dont understand”  Alle Philippinos reden nun gleichzeitig auf den armen Inder ein. Ob er denn nun schon telefoniert hätte. Und warum er überhaupt telefonieren wolle. Und ob die SIM-Karten bei Walmart nun billiger sein als beim Kaplan und warum er denn nun keine gekauft hätte und wen er eigentlich anrufen wolle und so weiter.

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Diese Typen sind einfach klasse. Da kann man sich in Sachen Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit wirklich eine gewaltige Scheibe abschneiden. Die werden mir alle sehr fehlen… Insbesondere der Koch und der Steward.

Es war ein sehr schöner Ausflug zu Walmart! Und nun gehe ich schlafen. Morgen muss ich so langsam anfangen, meine Plünnen zu sortieren…