Ausflug der schrägen Art

Hurra! We are free to enter the United States. Meine Herren, waren das ein paar Gestalten. Bewaffnet bis an die Zähne und der Chefkontrolleur so voller Tattoos, dass er eher wie einer von den bad guys aussah. Ob wir mehr als $10.000 dabei hätten. Ob wir vor dieser Reise auf einer Farm gearbeitet hätten. Wo wir her kämen und was wir da gemacht hätten. Ob das Spaß gemacht hätte. Aus Deutschland? Nach Boston? Von Neuseeland? Über Australien? Wieso? Urlaub? Aha! *stempel* *stempel* Have fun!

Charlotte sagt, der wäre furchteinflößend gewesen. Ich hatte mir das schlimmer vorgestellt. Wenn ich an die Typen am JFK und in Atlanta erinnere, dann war der doch recht harmlos. Offensichtlich reist man auf diesem Wege stressfreier ein. Man steht nicht in endlosen Warteschlangen, sondern wird vom dritten Offizier freundlich zur Gesichtskontrolle eskortiert. Fein – dafür hat mich das beklopfte Visum ja auch 150€ gekostet. Hoffentlich kommt da morgen in Philadelphia nicht noch das dicke Ende.

Charlotte war noch nie in den USA. Charlotte will zu MacDonalds. Sie will nichts davon wissen, dass Wendy’s eigentlich viel besser ist. Wir telefonieren rum. Totales Chaos. Ich rufe in der Seemannsmission an, ob uns jemand abholen kann, denn wir dürfen nicht zu Fuß in den Hafen – hier ist eh alles viel zu groß. Würde man gerne, aber man wisse nicht, wo der Fahrer sei. Aber wenn der auftauche, würde man ihn aus Schiff schicken. Ich renne runter zum Zweiten und sage ihm, man möge uns bitte Bescheid sagen, wenn der Fahrer auftaucht. Charlotte rollt mit den Augen und geht ihr mittlerweile kaltes Abendbrot essen. Der Bosun ruft dazwischen, dass der Seemannsmissionsmensch die ganze Zeit schon in der Mannschaftsmesse säße. Was ein Wirrsinn… Ich gehe in die Mannschaftsmesse. Da sitzt der Kaplan der Seemannsmission – ein freundlicher Philippino – und mampft Mungobohnensuppe. Wie der zweite Ingenieur sagte die absolute Leibspeise der Philippinos. Leider mit ätzenden Auswirkungen. Da ist irgendwas drin in den Bohnen, was gelegentlich gichtartige Zustände erzeugt. Der Koch hatte neulich einen erstaunlich dicken Fuß. Charlotte hat erzählt, dem Zweiten wär nichts besseres eingefallen, als ihm Brandsalbe drauf zu schmieren, worauf der Kapitän etwas genervt war und der Erste mit ihm in Tauranga zum Arzt gehen musste. Wir sind uns einig, dass wir hier an Bord lieber nicht krank werden wollen.

Der Kaplan verkauft mir eine SIM-Karte von T-Mobile (!!!) – $25 für 5 Tage *seufz* Besser als Roaming und bevor ich gar nix kriege – ich muss mir morgen irgendwie einen Mietwagen organisieren – hoffentlich fahren wir nicht so weit raus, dass ich keinen Empfang mehr habe… Außerdem sind alle Gespräche in den USA für lau und ich hab ein Guthaben von $15 für den Rest. Das hilft mir erst mal bis NYC – da brauch ich dann eh kein Telefon mehr. Aber bitte – eine T-Mobile-SIM in einem Vodafone-Handy von Samsung in den USA!!! Zustände sind das…

Die Suppe ist aufgegessen, die Notebooks (Charlottes und meins) sind im Rucksack und wir fallen die Gangway runter ins kaplan’sche Auto. Einsteigen, Motor an *KLACK* Hatte ich ganz vergessen. Die Autos verschließen sich automatisch, wenn man losfährt. Der lieben Sicherheit wegen, damit man an der Ampel nicht auf einmal ungebetene Gäste mit unangemessenen Geldforderungen im Auto hat. The land of the free and the paranoid…

In der Seemannsmission angekommen klinken wir uns geifernd ins Internet ein, während Hochwürden noch mal losrumpelt und weitere Leute von der Matisse holt. Wir lesen und schreiben Mails – meine Optikerin hat mir geschrieben. Die mit der tollen Sonnenbrille von der Danke-Seite. Und mein Nachbar. Meine Wohnung blüht, der Hausmeister hat endlich mal das Treppenhaus gesaugt und mein Fensterblatt bricht unter sich zusammen. Das musste ja mal kommen – dieser Strunk war mir ob seiner Lebens- und Expansionsfreude eh schon seit einiger Zeit etwas suspekt.

Schnell noch die ganzen Artikel und das Delfin-Video – sorry für die miese Qualität, aber das musste so schnell gehen, weil die Viecher einfach keine Geduld mit mir und meiner ALDI-Biligkamera hatten – hochgeschubst und der Geistliche kommt bereits wieder. Im Auto hat er die absolute Chaotentruppe. Den Koch und den Steward, die beiden Oberscherzkekse, einen der Jungs aus dem Maschinenraum und einen indischen Decksmatrosen. Alle zusammen zu Walmart – da ist auch ein MacDoof und ein ATM-Geldautomat.

Ich stürze mich auf den Geldautomaten. Der Koch und der Steward auf die Flachbildfernseher. Der Mechaniker und Charlotte in die Süßwarenabteilung. Charlotte erklärt, sie hätte sich zum Ziel gesetzt, alle Sorten M&Ms, die es auf der Welt gibt, auszuprobieren. Im Übrigen sammelt sie Süßigkeiten und hält sich selbst für leicht gestört. Ich finde sie eher liebenswert mit ihren ganzen Macken. Im Übrigen ist der Mechaniker auch nicht besser. Der Typ kauft eine ganze Einkaufswagenladung von Süßigkeiten. Die würden so ca. zwei Wochen reichen, die Arbeit im Maschinenraum sei immerhin schwer.

Charlotte steht in den ganzen Süßigkeiten, macht Kulleraugen und sieht so aus., als ob sie gleich anfängt zu hyperventilieren. Offenbar ein leichter Kulturschock. So ungefähr hat meine Cousine aus Magdeburg auch geguckt, als sie nach Mauerfall das erste Mal im KaDeWe stand.

Der ATM-Kasten will meine Maestro-Karte nicht, obwohl auf ihm nebst anderen ein riesiger Maestro-Aufkleber pappt. Die VISA-Karte geht und ich bin $100 reicher. Juhu! Ich kaufe auch was – eine handliche 3-Liter-Flasche Coke Zero und eine Tüte Himbeer-M&Ms. Mit Verlaub: Die schmecken absolut schön scheußlich plastikmäßig – morgen früh ist mir sicher latent blümerant.

Der Inder steht vor einem Sonderangebot mit Wein und fragt mich, ob das Wein sei. Ja, es sei Wein, aber sicher recht furchtbarer. Ein Rosé für $2,65. Flasche mit Schraubverschluss. Ich rate ab, der Inder kauft. OK – etwas verunglückte Kommunikation.

Charlotte und ich fallen offenbar irgendwie auf. Liegt das daran, dass wir mit Bargeld bezahlen oder am Akzent? Wenn Charlotte “Snickers” sagen will, sagt sie “Sneakers” – total süß. Die Kassiererin – eben noch total gelangweilt – grinst auf einmal freundlich. Where are *you* guys from? Kurze nette Unterhaltung. Ich mag ich die USA doch. Genau so geht es dann bei MacDoof weiter. Sobald die merken, dass man von sonstwo ist, werden sie total nett und hilfsbereit. Das ist eine wirklich nette Eigenart unserer amerikanischen Freunde.

Charlotte steht an diesem All-You-can-drink-Teil und probiert in Seelenruhe und mit Hingabe alle Geschmackssorten aus. Ich hätte so gerne ein Foto von ihren Grimassen gemacht. Sie tröpfelt kleine Mengen in den Becher, fotografiert den Inhalt mit Ihrer Digicam, probiert, guckt schräg und macht mit dem nächsten Zapfhahn weiter. Das Mädel ist echt cool. Sie sagt, das wäre ihr erster und letzter Aufenthalt in den USA, da müsse sie eben alles ausprobieren, was sich anbietet.

So langsam kommen alle zurück mit Süßigkeiten, Flachbildfernsehern, potenziell grauenhaftem Wein und anderen Dingen und fröhlich eiern wir zurück zum Schiff. Der Koch fragt den Inder andauernd, ob er denn nun eine SIM-Karte bekommen hätte und ob er damit schon telefoniert hätte. Oder ob er doch lieber eine vom Kaplan kaufen will. Wie das denn nun sei. Ob es in Indien überhaupt Telefone gäbe. Der Inder sagt “You talk much, I dont understand”  Alle Philippinos reden nun gleichzeitig auf den armen Inder ein. Ob er denn nun schon telefoniert hätte. Und warum er überhaupt telefonieren wolle. Und ob die SIM-Karten bei Walmart nun billiger sein als beim Kaplan und warum er denn nun keine gekauft hätte und wen er eigentlich anrufen wolle und so weiter.

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht. Diese Typen sind einfach klasse. Da kann man sich in Sachen Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit wirklich eine gewaltige Scheibe abschneiden. Die werden mir alle sehr fehlen… Insbesondere der Koch und der Steward.

Es war ein sehr schöner Ausflug zu Walmart! Und nun gehe ich schlafen. Morgen muss ich so langsam anfangen, meine Plünnen zu sortieren…