Improvisation!

Ich hatte mir das doch etwas einfacher vorgestellt. Irgendwie naiv – warum laufen denn wohl die ganzen Sondersendungen? Ich bewundere diese Stadt und ihre Bewohner, wie relativ gelassen und stoisch sie diesen Irrsinn wegstecken. Ich frage mich, was in Berlin los wäre, wenn ein Viertel der Stadt – und zwar das wichtigste – komplett lahm gelegt wäre.

Ich hatte mich ja wirklich der Hoffnung hingegeben, meinen New York Pass abzuholen und gemütlich im Bus rum zu schaukeln. Die Busse schaukeln zwar gemütlich, aber man muss erst mal zu der Ausgabestelle für das Ding kommen – und die ist auf der mir abgewandten Seite von Manhattan. Wie da hinkommen?

Erster Anlauf: Ich steige in die J Line in Richtung Jamaica Center (heißt wirklich so). Auf halber Strecke stelle ich fest, dass ich in meinem Tran diesen Zahlungsbeleg im Hotel gelassen habe. Also raus und zurück.

Zweiter Anlauf: Diesmal fahre ich auf Rat eines freundlichen MTA-Menschen in die andere Richtung und nehme den Shuttle-Bus nach Manhattan. Also als der dann nach einer halben Stunde kommt. Schön in der Schlange stehen. Kaum allerdings ist der Bus da, ist Schluss mit zivilisiert. Alle stürzen in den Bus – aber nur hinten. Die extrem hübsche MTA-Frau, die den Menschenstrom irgendwie regeln und lenken soll, brüllt die Menge an, sie möge auch die vordere Tür nehmen. Die Menge rast zur vorderen Tür. Der MTA-Schnuckel ranzt die Menge an, sie solle beide Eingänge nehmen. You’ll never get to Manhattan like this! Die Menge gehorcht irgendwie.

Nun rumpeln wir über den Hudson und dann die Bowery hoch. Sehr gespenstisch. Wie in einem schlechten Film. Die Bowery ist quasi abgesperrt. Überall Polizei, nur Busse und Taxis werden durch gelassen. Oder Autos mit mindestens drei Personen an Bord. Alle anderen müssen draußen bleiben. Dann kommen uns ca. 20 Hummer der Nationalgarde entgegen. Es erinnert wirklich an einen Actionfilm und man erwartet irgendwie, dass in der nächsten Minute Bruce Willis aus einem der Hummer hopst und die Dinge regelt, die da zu regeln sind.

Irgendwann stehe ich Bowery Ecke 54. Straße. Und die Subway hier ist zu – ich hätte an der 42. Straße raus gemusst. Tja… Dumm gelaufen!

Apropos gelaufen – nun bleibt mir nichts Anderes, als meinen untrainierten, gewaltigen Leib quer durch Manhattan zu schleppen. Zumindest bekomme ich so irgendwie doch noch was zu sehen – imposant! Voll! Hektisch! Nicht wirklich mein Ding, wenn ich ehrlich bin. Ich kriege schon Zustände auf dem Ku’damm, wenn ein Feiertag droht – aber das hier ist ja im Größenordnungen heftiger. Schlimm und faszinierend zugleich.

Irgendwann gebe ich auf und versuche ein Taxi zu bekommen. Fehlanzeige. Dann kommt eine Art Rikscha an geklappert mit einem netten jungen Herrn orientalischer Herkunft drauf, der laut Ding Dong macht. Also nehme ich die Rikscha – fein: 15 Minuten und $10 später bin ich am Ziel. Mittlerweile ist es 17:30 und ich muss feststellen, dass es keinen Sinn mehr macht, den Pass abzuholen, weil der erste Tag eh quasi rum ist und die meisten im Pass enthaltenen Eintritte nicht abgegolten werden können, da sich das meiste an Sehenswürdigkeiten in der Sperrzone befindet.

Ich glaube, ich knicke das Ganze morgen – glücklicherweise habe ich eine Ausfallversicherung mit abgeschlossen, sonst wären $200 fürs Gesäß.

Irgendwie lande ich am Broadway. Mittlerweile ist es ätzend kalt geworden. Die angekündigten Nordwinde setzen ein und bringen Arktisches mit sich. Verstärkt durch die engen Straßenschluchten ergibt das ein nettes kühles Windchen – selbst mir zu kalt. Trotzdem – auf dem Broadway machen 5 schwarze, durchtrainierte, schnuckelige, junge Herren eine kleine Break Dance Show. Ziemlich klasse – bis sie durch einen äußerst grimmigen Polizisten an der Fortsetzung gehindert werden. Die umstehende Menge ist not amused, die Jungs ziehen ab.

Ich versuche wieder, ein Taxi zu kriegen. Wenn mal eins hält, dann will der Fahrer aber nicht nach Brooklyn, weil keiner mehr genug Sprit hat, um rüber und weder zurück zu fahren – auch das noch! Ich nehme noch eine Rikscha, um wenigstens irgendwie zu einer Subway zu kommen, die fährt. Und da das nur drei oder vier Linien sind und ich nur eine davon – die M Line – gebrauchen kann, muss ich zur 34. Straße, weil das der Anfangsbahnhof ist und man sich nicht der Hoffnung hingeben sollte, später in den Zug zu kommen. Diesmal kostet die Rikscha $35 – aber wenigstens musste ich das Ende nicht laufen in der Kälte.

Was folgt sind 45 Minuten stehend in einem vollkommen überfüllten Zug. An jedem Bahnhof das gleiche Spiel. Keiner kommt rein, alle versuchen es trotzdem, die Türen verklemmen, der Fahrer orgelt rum, man solle die Türen freigeben, die drinnen sind genervt, weil es nicht weiter geht, die draußen sind genervt, weil sie weiter warten müssen.

Irgendwann kommen wir in Jamaica an – ach, schön wär’s, es wäre wirklich Jamaica. Es ist aber zwischen Queens und der Bronx und das hiesige Publikum ist auf den ersten Blick doch etwas gruselig. Geht aber nicht anders. Ich suche die J Line, bin entweder zu doof oder zu müde oder beides und finde sie nicht. Ich frage ein grimmig dreinblickendes MTA-Flintenweib und die zeigt nur Kaugummi kauend hinter sich – ich stehe vor der Treppe zur J Line. Naja…

Der Rest ist dann U-Bahnfahren von der Stange. 17 Stationen rumpelt man durch eine ziemlich abgewrackte Gegend. Irgendwann wird’s etwas beleuchteter draußen und die Fahrgäste sehen auch nicht mehr ganz so verwegen aus. Mir gegenüber sitzt einer, der aussieht wie frisch entsprungen. Der breitet gewissenhaft ein Schachbrett und viele Bücher auf der Sitzbank um sich rum aus. Ein schwarzer Fahrgast fragt, ob er mit ihm eine Partie spielt. Der etwas verdreht Wirkende guckt nervös und Wimpern zuckend und verneint mit der Begründung, er müsse nun Eröffnungen üben. Ich hätte die gerne fotografiert, aber es bot sich keine geeignete Gelegenheit zum diskreten Ablichten. So hab ich das ganze beobachtet, in mich rein gegrinst und an Kreuzberg gedacht.

Irgendwann bin ich dann endlich am Ziel meiner bescheidenen Wünsche und falle erfreut in “meinen” Supermarkt. Mein neuer Freund, der Schulterklopfer, erinnert sich an mich. Und ich sage: Nice, that you remember the something like a tourist.

Jetzt stecke ich mir zur Belohnung meiner Tapferkeit in Sachen zu Fuß gehen – oh Mann, ich muss dringend mal wieder zu McFit!!! – einen Becher Walgreens Strawberry Cheesecake Ice Cream in den Kopf und dann falle ich ins Fusspflegekoma.

Mal sehen, was ich morgen mache – vielleicht gebe ich mir diesen Ritt nach Manhattan noch mal und versuche wenigstens an einen dieser Touristenbusse zu kommen – derzeit ist Subway und Bus fahren hier umsonst, damit die Leute nicht mit den Autos in die Stadt gurken.


Eins ist auf jeden Fall noch zu sagen:

Hut ab vor den ganzen Leuten, die das ertragen müssen und vielerorts einfach so tun, als wenn nichts sei. Insbesondere, da es in dieser Schärfe vermeidbar wäre, wenn die Energieversorger und andere private Unternehmen, die eigentlich gewisse Verpflichtungen hätten, nicht wie die Irren an allem sparen würden, nur um den Shareholder Value nicht zu gefährden. Das ist der eigentliche Irrsinn an der Situation und wird hier heiß diskutiert.

Und am Sonntag soll zu dem auch noch der New York Marathon statt finden – wie das gehen soll, darüber scheiden sich die Geister. Viele sind der Ansicht, dass das vollkommen unsinnig sei. Insbesondere, da die dafür aufzuwendenden öffentlichen Mittel in gewaltiger Höhe derzeit an anderer Stelle dringender benötigt werden. Andere meinen, man würde bei einem Ausfall oder einer Verschiebung der Veranstaltung einen schweren Image-Schaden für die Stadt riskieren. Aus welchen Lagern die jeweiligen Meinungs- und Bedenkenträger kommen, kann man leicht an einem Finger abzählen.

Man kann mit Blick auf Berlin nur hoffen, dass der dortige Privatisierungsschwachsinn nicht irgendwann mal zu den gleichen katastrophalen Zuständen führt, wie man sie derzeit hier beobachten kann.

5 Gedanken zu „Improvisation!

  1. new york einmal anders…. respekt axel, ich wäre an deiner stelle nurmehr gekrochen… wenn überhaupt! vielleicht siehst du auf diese weise ein amerika, das dir – wenn alles glatt gegangen wäre- verschlossen geblieben wäre. ich bin sehr gespannt auf den rest deiner reise.. 🙂

  2. der marathon ist ja nun abgesagt – gottseidank. die mittel werden wohl hoffentlich so verwendet, dass sie den geplagten new yorkern zu gute kommen. das muss wirklich ne besondere sorte mensch sein. bei all den katastrophen dann doch noch recht gelassen zu sein.

    axel, ich wünsch dir noch ne gute zeit und komm gut heim 🙂
    grüssle
    k.

    • Dazu muss ich übermorgen erst mal zum Flughafen kommen mit dem ganzen Gepäck… Wäääähähähähäääää…

Kommentare sind geschlossen.